30.10.2006
SUBKULTUR INTERVIEW MIT CYRUS
Von: Haters Club
Der Veranstalter, DJ und Journalist Tom Manegold führte kurz vor Veröffentlichung des NIGHTCRAWLER Albums im Herbst 2006 das folgende RETROSIC-Interview und publizierte es auf seinem Portal SUBKULTUR. Mit inquisitorischen Fragen und persönlichen Notizen skizziert er dabei einen lesenswerten Querschnitt der RETROSIC-History, bei dem ab und an der Journalist zum Fan wird und doch objektiv und mit hohem Unterhaltungswert Bandchef Cyrus einige pointierte Statements entlockt:
Was bedeutet THE RETROSIC?
Cyrus: THE RETROSIC ist ein Kunstbegriff, der allein seiner Phonetik wegen gewählt wurde.
Hattest Du schon immer vor in Sachen Label Dein eigener Herr zu bleiben?
Cyrus: Ich bin durchaus dankbar, dass die Zufälle es so wollten und THE RETROSIC von Beginn an ohne externes Label auskam. Heute sehe ich wenig Veranlassung am erzielten Status Quo etwas zu verändern.
Wollte Dich am Anfang niemand haben?
Cyrus: Ganz genau so war das! Als wir mit PROPHECY rauskamen schlug gerade die goldene Stunde des Future Pop und viele Labels glaubten, dieser Stil sei der einzig gültige für die Zukunft dieser Szene. Wir wissen, wie die Geschichte ausging…
Woher nahmst Du damals die Motivation immer weiter zu machen?
Cyrus: Ich hatte schlichtweg noch etwas zu sagen. Das gilt bis heute.
THE RETROSIC ist ein Soloding, ein Egotrip, wie der eines einsamen Wolfes auf der Jagd in einer dampfenden, vollkommen kaputten Welt. Wir beide wissen, dass Deine reale Welt eigentlich ganz gut funktioniert. Wie geht das zusammen? Vision, Warnung, zuviel Fernsehen oder bist Du einfach nur schizophren?
Cyrus: THE RETROSIC und meine Person sind zu eng miteinander verwoben, als dass ich daraus gar eine zwiegespaltene Persönlichkeit ableiten könnte. Aber mir entgeht natürlich nicht, dass wir als Menschheit wie schon so oft in unserer Geschichte am Scheideweg stehen. Ich konfrontiere mich durchaus bewusst mit – wenn du so willst – Worst Case Szenarien, vielleicht auch um ihnen zur gegebenen Zeit adäquat begegnen zu können.
Hast Du in Bayern Heimvorteil?
Cyrus: Wohl kaum. Die wenigsten wissen, woher wir kommen. Das letzte Mal, als man uns in einem Club erkannte, war in New York. Man glaubt hier vermutlich nicht, dass wir uns auch von Zeit zu Zeit aus unseren Löchern wagen und im Allgemeinen genieße ich das auch. Einen wie auch immer gearteten Heimvorteil kann man daraus also kaum ableiten.
Dennoch kann ich aus eigener Erfahrung als DJ sprechen, dass der Prophet in diesem Fall auch im eigenen Land erhört wurde. Galt PROPHECY noch als Geheimtipp, so sollte sich das mit der nachfolgenden EP grundlegend ändern. MESSA DA REQUIEM kam schon ein knappes Jahr nach dem Debüt. Mit der Sopranistin Zaide hat sich Cyrus eine Gastsängerin ins Studio geholt, die aus dem Verdi-Requiem klassische Gesangspassagen zitierte. Damit kamen neue Einflüsse, Transparenz und Wiedererkennungswert in den Sound von THE RETROSIC. Zum absoluten Überhit auf den Dark Floors der Nation mutierte jedoch ein Klopfer der alten Schule mit Namen GROUND ZERO.
Warst Du plötzlich in aller Munde oder verbreitete sich der Virus RETROSIC eher schleichend?
Cyrus: Wir hatten zu keiner Zeit TV- oder Radiopräsenz und waren bislang noch nie live unterwegs. Ich vermute daher, dass es wohl der stete Weg der Mund zu Mund Propaganda war, der uns zu einer breiten Hörerschaft verhalf. Um allerdings in sprichwörtlich aller Munde zu sein bedarf es massenkompatiblerer Sounds, als wir sie bieten.
Was ist anno 2006 Deine persönliche Meinung über die in GROUND ZERO reflektierten Geschehnisse?
Cyrus: Als GROUND ZERO entstand, war der Nachhall des 11. Septembers noch zu spüren und die Politik empfand es scheinbar als pietätlos, einem schießwütigen Cowboy Besonnenheit anzuraten. Stattdessen schwenkte man eifrig die Stars and Stripes. Dabei zeigte Bush Junior schon damals alles, wofür ihn die westliche Welt heute meidet und die arabische Welt von Tag zu Tag mehr hasst. Ich denke, wir waren keine Propheten, dies auf MESSA DA REQUIEM vorwegzunehmen.
Mit diesem nachhaltigen Erfolg und seinem Bestreben, alle Belange um THE RETROSIC selbst zu kontrollieren, wird Cyrus in der Szene quasi salonfähig. Als "Remixer" rettet er LAUGHINGSTOCK von den Senkrechtstartern [:SITD:], indem er es neu einsingt und den Text verändert. 2004 beginnt aus THE RETROSIC dann langsam eine Band zu werden, denn Cyrus stehen beim Album GOD OF HELL neben Zaide vier weitere Musiker zur Seite. Das Album folgt inhaltlich und optisch einem beeindruckenden, bildgewaltigen Konzept und wird noch erfolgreicher, als die beiden ersten Scheiben. Vielleicht nicht zuletzt, weil diese Apokalypse, die durch den Kampf der Religionen und Bushs Weltkrieg gegen den Terror inspiriert wurde, greifbar geworden ist.
„Destroy The World To Save It“ war das Leitmotiv von GOD OF HELL. Ist die Welt wirklich so scheiße?
Cyrus: Ganz so schlicht ist diese Aussage nicht zu deuten. Vielmehr ist sie der kleinste gemeinsame Nenner einiger Machthaber, die sich in so frappierender Weise darin ähneln, die Welt mit bloßer Waffengewalt erretten zu wollen. Durch die Geschichte finden sich unzählige Beispiele für gescheiterte Versuche, dieses Ansinnen durchzusetzen: Besagter Präsident und seine terroristischen Gegenspieler sind hierbei nur die vorerst letzten in einer langen Kette.
Wie muss man sich die Entstehung eines Konzeptalbums über das Ende vorstellen, was hast Du für ein Bild vor Augen... Geier, die über rauchverhangenem Himmel kreisen und sich die guten Stücke aus Autowracks herausziehen?
Cyrus: Tatsächlich trieb GOD OF HELL die Vision des vorgenannten Leitmotivs bis zu diesem Punkt. Motivation und Antrieb für dererlei Visionen gibt das aktuelle Zeitgeschehen doch ganz von allein.
Was meinst Du, haben die Fans der ersten Stunde auf GOD OF HELL vermißt?
Cyrus: GOD OF HELL war das bislang erfolgreichste Album unserer noch kurzen Bandhistorie. Natürlich ist jedes Album auch ein Einschnitt in der Diskographie einer Band - oder sollte es meiner Meinung nach zumindest sein. Ich will sehen und spüren, dass sich eine Band nicht damit begnügt, sich selbst zu zitieren.
Während viele Genrekollegen mit Plattitüden und Schlagworten um sich werfen, gab Cyrus den durch ständige Multiplikation verkommenen Kraftausdrücken, wie "Antichrist" und "Total War" und dem "Endzeitelectro" an sich neue Daseinsberechtigung. Dass man derbe Musik und Kehlkopfkrebsgesänge auch mit guten Texten versehen kann, war schon geraume Zeit in Vergessenheit geraten und schlägt sich auch jetzt, auf dem neuen Album NIGHTCRAWLER nieder.
Das perfekte, düstere Endzeitszenario, was GOD OF HELL heraufbeschwor, gründet sich einerseits in einem Gefühl für Stimmungen, andererseits aber auch in Deinem Faible für Inhalte in Deinen Liedern. Glaubst Du wirklich, dass man mit Endzeitklopfern auch Botschaften transportieren kann, zumal sie auf NIGHTCRAWLER die Hörer selbst betreffen?
Cyrus: Allein diese Feststellung bejaht schon Deine Frage. Natürlich interessieren sich berauschte Partykids im Allgemeinen nicht für die Aussagen und Hintergründe ihrer abendlichen Dancehall-Beschallung. Doch begegnen mir gerade in dieser Szene zahlreiche Menschen, die sehr reflektiert mit Lyrics ihrer favorisierten Bands umgehen. Im besten Falle wurde ihnen der Kern eines Songs also schon an anderer Stelle bewusst, was dessen Wahrnehmung auch auf der Tanzfläche nur entgegenkommen kann.
NIGHTCRAWLER wurde immer wieder verschoben... durch ein paar widrige Umstände... Was war los?
Cyrus: Ein paar gesundheitliche Beeinträchtigungen, die einiges an Zeit kosteten. Es ist aber bereits wieder alles im Lot.
Auch auf NIGHTCRAWLER kommen immer wieder orientalisch anmutende Harmonien zum Einsatz, wie beispielsweise bei BLOODSPORT. Ist das eine Schwäche von Dir?
Cyrus: Scheinbar. Auf GOD OF HELL waren sie noch eine musikalische Adaption des Albumthemas. Dabei scheine ich diesen Sounds derart verfallen zu sein, um sie nun auch auf NIGHTCRAWLER einzubringen.
NIGHTCRAWLER beschäftigt sich mit einer überspitzten Darstellung urbaner Abgründe, die sich im Nachtleben und in den Ecken der Gesellschaft so abspielen. Du beschwörst dieses Bild wiederum förmlich herauf. Ist die nächtliche Straße, die berstenden Clubs, SM und sich gegenseitiges in die Fresse hauen der Ersatz für die einst so zügellose Wildnis?
Cyrus: Ein interessanter Ansatz. Scheinbar ist es tatsächlich diese animalische Seite, die mich am Menschen interessiert, denn wo tritt sie in der urbanen Welt ungezügelter zu Tage als in ihren Grauzonen?
Und wieder sind es die leeren Worthülsen, die auf NIGHTCRAWLER mit Schießpulver gefüllt werden. So stellt THE RETROSIC in der Auskopplung DESPERATE YOUTH den ewig widergekäuten Slogan "Live Fast- Die Young" in Frage bzw. wird er mit eindrucksvollen, extremen Bildern in einem starken Video auf seine Brauchbarkeit abgeklopft. NIGHTCRAWLER steht ganz im Zeichen musikalischer Erneuerung, die sich bei THE RETROSIC als laufender Prozess bemerkbar macht und das Album platziert sich ins Zwielicht des urbanen Elends in all seiner aushöhlenden Sattheit, mentalen Leere und Dekadenz....
Das Video ist mehr als nur eine verkaufsfördernde Maßnahme. Meinen Glückwunsch! Der Rebell in Ketten... Die sich selbst vergasenden, sich füttern lassenden ... willst Du mehr so multimediales Zeugs machen oder ist das hohe Niveau in Inhalt und Ausführung einfach nur ein Ausdruck von Perfektionswahn?
Cyrus: Natürlich liegt unser Ehrgeiz darin, Erreichtes auf das nächste Level zu bringen. Aber nicht um jeden Preis. Es bot sich diesmal schlicht die Gelegenheit, mit einigen guten Freunden aus dem Filmfach ein Projekt wie dieses Video umzusetzen.
Wie geht’s eigentlich dem Typen, der im Video immer mit dem Kopf gegen die Wand schlagen musste?
Cyrus: Er ist Stuntman und sollte bei einem derart simplen Job wohl keine bleibenden Schäden davon getragen haben. Da war das Einführen der Haken durch die Haut seines Schauspielkollegen doch die weitaus härtere Erfahrung. Und auch er hat’s überlebt.
Fehlt unserer Kultur dieser starke Symbolismus, den Du hier herauf beschwörst?
Cyrus: Tun wir das? Besteht unsere sogenannte Kultur nicht vielmehr nur noch aus Symbolismus und herrscht nicht doch eher ein gravierender Mangel an echten Inhalten? Im Kontext von THE RETROSIC steht Symbolismus sicherlich immer auch im Bezug zu Inhalten.
Was macht man mit so einem Kurzfilm? Das Bilderradio wird’s ja wohl nicht senden...
Cyrus: Man macht eine Video-DVD draus, die man dem Album beilegt, in der Hoffnung es werden sich genug Leute finden, die es als unterstützenswert erachten und selbiges erwerben.
Die Wölfe töten die Jungen des konkurrierenden Rudels, weil das effektiver ist, als sich mit den Großen rumzuschlagen. Das Rudel stirbt aus. Wir töten uns einfach selbst. Wird so die Welt enden?
Cyrus: Warten wir’s ab.
Soll man seine Abgründe dennoch ausleben?
Cyrus: Das fragst du mich? Natürlich! Solltest du dich nun allerdings ermuntert sehen, die Axt gegen deinen Nachbarn zu erheben, bitte ich dich zuvor doch besser einen Arzt zu konsultieren.
Ist es wirklich erstrebenswert, das Ende der Nahrungskette zu sein?
Cyrus: Es liegt in unserem menschlichen Streben. Ich für meinen Teil kann nur Vorteile darin erkennen, - auch in der metaphorischen Auslegung des Begriffs.
Sind wir die Tiere im eigenen Käfig?
Cyrus: Das merken wir doch schon, wenn wir den Viehwagons des öffentlichen Nahverkehrs begegnen.
Hast Du ein Beispiel parat, etwas, was Dich ermutigt / entmutigt, den von Euch praktizierten Anspruch aufrecht zu erhalten?
Cyrus: Die Welt ist voll mit Dingen, über die es sich zu schreiben lohnt. Dennoch werde ich die Hintergründe des nächsten Albums natürlich vorerst für mich behalten.
Bist Du mit Deinem Bemühen, eine würdige Liveumsetzung von The Retrosic zu schaffen, weiter gekommen?
Cyrus: Wir haben mit einigen interessierten Festival-Veranstaltern bereits über die ein oder andere Konzeption gesprochen. Doch es bleibt abzuwarten was die Zeit bringen wird.
Was Du machst klingt oberflächlich betrachtet alles sehr böse und krank. Aber im Endeffekt machst Du Antidrogensongs, redest vom Aufbegehren und versuchst einer Jugend ohne Hoffnung zu helfen. Wenn alle das begriffen haben, dann stecken sie sich Blumen ins Haar und hören wieder Scott Mc Kenzie und Oliver Shanti und haben sich alle lieb. Was machst Du dann?
Cyrus: Wieder mal eine interessante Schlußfolgerung, die nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Gott lob ist unsere menschliche Natur nicht dazu geschaffen, sich auf ein solches Schlußszenario einzulassen. So wird es wohl noch über Generationen Stoff für Bands und Künstler wie THE RETROSIC geben.
Was bedeutet THE RETROSIC?
Cyrus: THE RETROSIC ist ein Kunstbegriff, der allein seiner Phonetik wegen gewählt wurde.
Hattest Du schon immer vor in Sachen Label Dein eigener Herr zu bleiben?
Cyrus: Ich bin durchaus dankbar, dass die Zufälle es so wollten und THE RETROSIC von Beginn an ohne externes Label auskam. Heute sehe ich wenig Veranlassung am erzielten Status Quo etwas zu verändern.
Wollte Dich am Anfang niemand haben?
Cyrus: Ganz genau so war das! Als wir mit PROPHECY rauskamen schlug gerade die goldene Stunde des Future Pop und viele Labels glaubten, dieser Stil sei der einzig gültige für die Zukunft dieser Szene. Wir wissen, wie die Geschichte ausging…
Woher nahmst Du damals die Motivation immer weiter zu machen?
Cyrus: Ich hatte schlichtweg noch etwas zu sagen. Das gilt bis heute.
THE RETROSIC ist ein Soloding, ein Egotrip, wie der eines einsamen Wolfes auf der Jagd in einer dampfenden, vollkommen kaputten Welt. Wir beide wissen, dass Deine reale Welt eigentlich ganz gut funktioniert. Wie geht das zusammen? Vision, Warnung, zuviel Fernsehen oder bist Du einfach nur schizophren?
Cyrus: THE RETROSIC und meine Person sind zu eng miteinander verwoben, als dass ich daraus gar eine zwiegespaltene Persönlichkeit ableiten könnte. Aber mir entgeht natürlich nicht, dass wir als Menschheit wie schon so oft in unserer Geschichte am Scheideweg stehen. Ich konfrontiere mich durchaus bewusst mit – wenn du so willst – Worst Case Szenarien, vielleicht auch um ihnen zur gegebenen Zeit adäquat begegnen zu können.
Hast Du in Bayern Heimvorteil?
Cyrus: Wohl kaum. Die wenigsten wissen, woher wir kommen. Das letzte Mal, als man uns in einem Club erkannte, war in New York. Man glaubt hier vermutlich nicht, dass wir uns auch von Zeit zu Zeit aus unseren Löchern wagen und im Allgemeinen genieße ich das auch. Einen wie auch immer gearteten Heimvorteil kann man daraus also kaum ableiten.
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Dennoch kann ich aus eigener Erfahrung als DJ sprechen, dass der Prophet in diesem Fall auch im eigenen Land erhört wurde. Galt PROPHECY noch als Geheimtipp, so sollte sich das mit der nachfolgenden EP grundlegend ändern. MESSA DA REQUIEM kam schon ein knappes Jahr nach dem Debüt. Mit der Sopranistin Zaide hat sich Cyrus eine Gastsängerin ins Studio geholt, die aus dem Verdi-Requiem klassische Gesangspassagen zitierte. Damit kamen neue Einflüsse, Transparenz und Wiedererkennungswert in den Sound von THE RETROSIC. Zum absoluten Überhit auf den Dark Floors der Nation mutierte jedoch ein Klopfer der alten Schule mit Namen GROUND ZERO.
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Warst Du plötzlich in aller Munde oder verbreitete sich der Virus RETROSIC eher schleichend?
Cyrus: Wir hatten zu keiner Zeit TV- oder Radiopräsenz und waren bislang noch nie live unterwegs. Ich vermute daher, dass es wohl der stete Weg der Mund zu Mund Propaganda war, der uns zu einer breiten Hörerschaft verhalf. Um allerdings in sprichwörtlich aller Munde zu sein bedarf es massenkompatiblerer Sounds, als wir sie bieten.
Was ist anno 2006 Deine persönliche Meinung über die in GROUND ZERO reflektierten Geschehnisse?
Cyrus: Als GROUND ZERO entstand, war der Nachhall des 11. Septembers noch zu spüren und die Politik empfand es scheinbar als pietätlos, einem schießwütigen Cowboy Besonnenheit anzuraten. Stattdessen schwenkte man eifrig die Stars and Stripes. Dabei zeigte Bush Junior schon damals alles, wofür ihn die westliche Welt heute meidet und die arabische Welt von Tag zu Tag mehr hasst. Ich denke, wir waren keine Propheten, dies auf MESSA DA REQUIEM vorwegzunehmen.
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Mit diesem nachhaltigen Erfolg und seinem Bestreben, alle Belange um THE RETROSIC selbst zu kontrollieren, wird Cyrus in der Szene quasi salonfähig. Als "Remixer" rettet er LAUGHINGSTOCK von den Senkrechtstartern [:SITD:], indem er es neu einsingt und den Text verändert. 2004 beginnt aus THE RETROSIC dann langsam eine Band zu werden, denn Cyrus stehen beim Album GOD OF HELL neben Zaide vier weitere Musiker zur Seite. Das Album folgt inhaltlich und optisch einem beeindruckenden, bildgewaltigen Konzept und wird noch erfolgreicher, als die beiden ersten Scheiben. Vielleicht nicht zuletzt, weil diese Apokalypse, die durch den Kampf der Religionen und Bushs Weltkrieg gegen den Terror inspiriert wurde, greifbar geworden ist.
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„Destroy The World To Save It“ war das Leitmotiv von GOD OF HELL. Ist die Welt wirklich so scheiße?
Cyrus: Ganz so schlicht ist diese Aussage nicht zu deuten. Vielmehr ist sie der kleinste gemeinsame Nenner einiger Machthaber, die sich in so frappierender Weise darin ähneln, die Welt mit bloßer Waffengewalt erretten zu wollen. Durch die Geschichte finden sich unzählige Beispiele für gescheiterte Versuche, dieses Ansinnen durchzusetzen: Besagter Präsident und seine terroristischen Gegenspieler sind hierbei nur die vorerst letzten in einer langen Kette.
Wie muss man sich die Entstehung eines Konzeptalbums über das Ende vorstellen, was hast Du für ein Bild vor Augen... Geier, die über rauchverhangenem Himmel kreisen und sich die guten Stücke aus Autowracks herausziehen?
Cyrus: Tatsächlich trieb GOD OF HELL die Vision des vorgenannten Leitmotivs bis zu diesem Punkt. Motivation und Antrieb für dererlei Visionen gibt das aktuelle Zeitgeschehen doch ganz von allein.
Was meinst Du, haben die Fans der ersten Stunde auf GOD OF HELL vermißt?
Cyrus: GOD OF HELL war das bislang erfolgreichste Album unserer noch kurzen Bandhistorie. Natürlich ist jedes Album auch ein Einschnitt in der Diskographie einer Band - oder sollte es meiner Meinung nach zumindest sein. Ich will sehen und spüren, dass sich eine Band nicht damit begnügt, sich selbst zu zitieren.
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Während viele Genrekollegen mit Plattitüden und Schlagworten um sich werfen, gab Cyrus den durch ständige Multiplikation verkommenen Kraftausdrücken, wie "Antichrist" und "Total War" und dem "Endzeitelectro" an sich neue Daseinsberechtigung. Dass man derbe Musik und Kehlkopfkrebsgesänge auch mit guten Texten versehen kann, war schon geraume Zeit in Vergessenheit geraten und schlägt sich auch jetzt, auf dem neuen Album NIGHTCRAWLER nieder.
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Das perfekte, düstere Endzeitszenario, was GOD OF HELL heraufbeschwor, gründet sich einerseits in einem Gefühl für Stimmungen, andererseits aber auch in Deinem Faible für Inhalte in Deinen Liedern. Glaubst Du wirklich, dass man mit Endzeitklopfern auch Botschaften transportieren kann, zumal sie auf NIGHTCRAWLER die Hörer selbst betreffen?
Cyrus: Allein diese Feststellung bejaht schon Deine Frage. Natürlich interessieren sich berauschte Partykids im Allgemeinen nicht für die Aussagen und Hintergründe ihrer abendlichen Dancehall-Beschallung. Doch begegnen mir gerade in dieser Szene zahlreiche Menschen, die sehr reflektiert mit Lyrics ihrer favorisierten Bands umgehen. Im besten Falle wurde ihnen der Kern eines Songs also schon an anderer Stelle bewusst, was dessen Wahrnehmung auch auf der Tanzfläche nur entgegenkommen kann.
NIGHTCRAWLER wurde immer wieder verschoben... durch ein paar widrige Umstände... Was war los?
Cyrus: Ein paar gesundheitliche Beeinträchtigungen, die einiges an Zeit kosteten. Es ist aber bereits wieder alles im Lot.
Auch auf NIGHTCRAWLER kommen immer wieder orientalisch anmutende Harmonien zum Einsatz, wie beispielsweise bei BLOODSPORT. Ist das eine Schwäche von Dir?
Cyrus: Scheinbar. Auf GOD OF HELL waren sie noch eine musikalische Adaption des Albumthemas. Dabei scheine ich diesen Sounds derart verfallen zu sein, um sie nun auch auf NIGHTCRAWLER einzubringen.
NIGHTCRAWLER beschäftigt sich mit einer überspitzten Darstellung urbaner Abgründe, die sich im Nachtleben und in den Ecken der Gesellschaft so abspielen. Du beschwörst dieses Bild wiederum förmlich herauf. Ist die nächtliche Straße, die berstenden Clubs, SM und sich gegenseitiges in die Fresse hauen der Ersatz für die einst so zügellose Wildnis?
Cyrus: Ein interessanter Ansatz. Scheinbar ist es tatsächlich diese animalische Seite, die mich am Menschen interessiert, denn wo tritt sie in der urbanen Welt ungezügelter zu Tage als in ihren Grauzonen?
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Und wieder sind es die leeren Worthülsen, die auf NIGHTCRAWLER mit Schießpulver gefüllt werden. So stellt THE RETROSIC in der Auskopplung DESPERATE YOUTH den ewig widergekäuten Slogan "Live Fast- Die Young" in Frage bzw. wird er mit eindrucksvollen, extremen Bildern in einem starken Video auf seine Brauchbarkeit abgeklopft. NIGHTCRAWLER steht ganz im Zeichen musikalischer Erneuerung, die sich bei THE RETROSIC als laufender Prozess bemerkbar macht und das Album platziert sich ins Zwielicht des urbanen Elends in all seiner aushöhlenden Sattheit, mentalen Leere und Dekadenz....
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Das Video ist mehr als nur eine verkaufsfördernde Maßnahme. Meinen Glückwunsch! Der Rebell in Ketten... Die sich selbst vergasenden, sich füttern lassenden ... willst Du mehr so multimediales Zeugs machen oder ist das hohe Niveau in Inhalt und Ausführung einfach nur ein Ausdruck von Perfektionswahn?
Cyrus: Natürlich liegt unser Ehrgeiz darin, Erreichtes auf das nächste Level zu bringen. Aber nicht um jeden Preis. Es bot sich diesmal schlicht die Gelegenheit, mit einigen guten Freunden aus dem Filmfach ein Projekt wie dieses Video umzusetzen.
Wie geht’s eigentlich dem Typen, der im Video immer mit dem Kopf gegen die Wand schlagen musste?
Cyrus: Er ist Stuntman und sollte bei einem derart simplen Job wohl keine bleibenden Schäden davon getragen haben. Da war das Einführen der Haken durch die Haut seines Schauspielkollegen doch die weitaus härtere Erfahrung. Und auch er hat’s überlebt.
Fehlt unserer Kultur dieser starke Symbolismus, den Du hier herauf beschwörst?
Cyrus: Tun wir das? Besteht unsere sogenannte Kultur nicht vielmehr nur noch aus Symbolismus und herrscht nicht doch eher ein gravierender Mangel an echten Inhalten? Im Kontext von THE RETROSIC steht Symbolismus sicherlich immer auch im Bezug zu Inhalten.
Was macht man mit so einem Kurzfilm? Das Bilderradio wird’s ja wohl nicht senden...
Cyrus: Man macht eine Video-DVD draus, die man dem Album beilegt, in der Hoffnung es werden sich genug Leute finden, die es als unterstützenswert erachten und selbiges erwerben.
Die Wölfe töten die Jungen des konkurrierenden Rudels, weil das effektiver ist, als sich mit den Großen rumzuschlagen. Das Rudel stirbt aus. Wir töten uns einfach selbst. Wird so die Welt enden?
Cyrus: Warten wir’s ab.
Soll man seine Abgründe dennoch ausleben?
Cyrus: Das fragst du mich? Natürlich! Solltest du dich nun allerdings ermuntert sehen, die Axt gegen deinen Nachbarn zu erheben, bitte ich dich zuvor doch besser einen Arzt zu konsultieren.
Ist es wirklich erstrebenswert, das Ende der Nahrungskette zu sein?
Cyrus: Es liegt in unserem menschlichen Streben. Ich für meinen Teil kann nur Vorteile darin erkennen, - auch in der metaphorischen Auslegung des Begriffs.
Sind wir die Tiere im eigenen Käfig?
Cyrus: Das merken wir doch schon, wenn wir den Viehwagons des öffentlichen Nahverkehrs begegnen.
Hast Du ein Beispiel parat, etwas, was Dich ermutigt / entmutigt, den von Euch praktizierten Anspruch aufrecht zu erhalten?
Cyrus: Die Welt ist voll mit Dingen, über die es sich zu schreiben lohnt. Dennoch werde ich die Hintergründe des nächsten Albums natürlich vorerst für mich behalten.
Bist Du mit Deinem Bemühen, eine würdige Liveumsetzung von The Retrosic zu schaffen, weiter gekommen?
Cyrus: Wir haben mit einigen interessierten Festival-Veranstaltern bereits über die ein oder andere Konzeption gesprochen. Doch es bleibt abzuwarten was die Zeit bringen wird.
Was Du machst klingt oberflächlich betrachtet alles sehr böse und krank. Aber im Endeffekt machst Du Antidrogensongs, redest vom Aufbegehren und versuchst einer Jugend ohne Hoffnung zu helfen. Wenn alle das begriffen haben, dann stecken sie sich Blumen ins Haar und hören wieder Scott Mc Kenzie und Oliver Shanti und haben sich alle lieb. Was machst Du dann?
Cyrus: Wieder mal eine interessante Schlußfolgerung, die nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Gott lob ist unsere menschliche Natur nicht dazu geschaffen, sich auf ein solches Schlußszenario einzulassen. So wird es wohl noch über Generationen Stoff für Bands und Künstler wie THE RETROSIC geben.